Die
Mär vom Bruyere (Pipe 13)
Es war so um das Jahr 1840 und einer der wunderbaren Abende, an
denen so manches junge Paar die erste Zuneigung zueinander entdeckt.
In einem malerischen Tal des Französischen Jura saß eine
Gruppe Hirten bei der wabernden Lohe eines knisternden Feuers beisammen
und genoß in gemeinsamer Runde bei Brot, Wein und Tabak den
Ausklang eines Tages voll harter, mühevoller Arbeit.
Nur
einer saß etwas abseits, voller Spannung beschäftigt
mit etwas ganz Neuem, erst heute entdeckt, als eines seiner Schafe
das Erdreich aufscharrte, einem runden, eigenwillig gleichmäßig
geformten Stück Holz. Es war die Wurzelknolle eines Strauches,
der millionenfach in diesem Tal wuchs und immer störend war,
wenn sie ihre versprengten Schafe wieder einfangen mußten.
Verbissen schnitzte er an diesem Stück, formte, modelierte
unter den leicht spöttischen Blicken seiner Freunde. Stunden
vergehen. Plötzlich geht ein Ruck durch den einsamen Mann,
er steht lächelnd auf, wendet sich seinen Freunden zu und zeigt
voller Stolz sein neues Werk: eine Pfeife der ganz besonderen Art.
Von
Hand zu Hand geht es nun, geprüft, gewogen, begutachtet. Bewunderndes
Raunen macht sich breit, schnell wird das neue Stück mit Tabak
gefüllt und macht seine Runde; entzückte Gesichtszüge
- welche Süße - welch Aroma - welche Schönheit des
Holzes!
Die
alten Buchsbaumpfeifen sind vergessen, der Entschluss ist einstimmig:
morgen suchen auch wir das neue Holz. The "Briar" is born!
Diese
Geschichte erzähle ich immer gerne, wenn ich gefragt werde,
wie man zu dem Pfeifenstoff Bruyere gekommen sei. Es ist natürlich
ein Märchen! Wahrheit ist, dass es viele Fabriken gegeben hat,
die ständig auf der Suche nach neuen, besseren Materialien
für ihre Pfeifenproduktion waren und die Wahrheit wird es gewesen
sein, dass der Zufall und ständiges Probieren zu neuen Ufern
geführt haben. Wahrheit ist außerdem, dass sich zwei
Firmen um die Entdeckung des Bruyere streiten, die Firma Comoys
und die Firma Courrieu. Die erstere hat es nachweislich 1860 benutzt
und die zweite behauptet von sich, es bereits 1802 eingesetzt zu
haben.
Desinformation
Aber hier ist die Frage, wie und wann zum ersten Male Bruyere als
Werkstoff genutzt wurde, nachrangig. Viel wichtiger ist dem Pfeifenraucher
und Sammler die Mystik und die Legendenwelt, die sich wie ein Schleier
um sein geliebtes Sujet Pfeife windet, gleich den sieben Tüchern
der Salome. Und diesen Schleier zu lüften, um schlussendlich
an den lockenden Liebreiz zu gelangen, bereitet Lust und Wonne.
Keine
Lust allerdings bereitet es, eine Legendenwelt zu lüften, die
uns Reiz und höchste Verheißungen vorgaukeln soll, hinter
deren prächtigem Vorhang jedoch nur die Normalität oder
gar der Mangel verborgen wird, sei es aus ökonomischen Kalkül
oder bewusster oder fahrlässiger Desinformation und davon gibt
es gar viele Legenden um die Welt der Pfeife.
Die
Fama der Hundertjährigen Hölzer
Eine der alten Geschichten, die nahezu unausrottbar sind, und wie
denn auch, schreibt doch so mancher Experte von dem anderen ab,
ohne je verantwortungsbewusst recherchiert zu haben, ist die Fama
der Hundertjährigen Hölzer! Ein Märchen fürwahr,
welches jedem Holzfachmann die Nackenhaare zu Berge stehen lässt.
Holz ist Natur und Natur im hohen Alter wird nicht besser, sondern
wartet mit den Mängeln der Zeit auf. Betrachten wir nur die
Stämme der alten Eichen, die geborsten sind durch die Blitze
in ihrer Geschichte oder in ihrem Inneren verfault durch den Prozess
des irdischen. Selbst der berühmte Ölbaum zerspaltet seinen
Stamm schon in für seine Lebenserwartung recht jungen Jahren
und hat sich den Einflüssen der Natur zu beugen.
Das
beste Alter für die Verarbeitung der Knolle der Erika Arborea
ist und bleibt 30 - 50 Jahre und keinen Deut weniger und keinen
mehr. Ist die Knolle jünger, ist sie zu klein und der Ertrag
im Verhältnis zum Aufwand zu gering. Ist sie älter, ist
der Kern verfault, sie hat zu viele Waldbrände erlebt und ist
durch Spannungen im Holz zerrissen. Kein vernünftiger Mensch
gräbt so etwas aus, es sei denn, als Demonstrationsobjekt.
Und überhaupt, warum soll eine Knolle hundert Jahre alt sein?
Will hier jemand suggerieren, dass mit jedem Jahr über 50 sich
die Qualität des Materials steigert? Qualität wird bestimmt
durch Klima und Bodenbeschaffenheit. Stimmen diese beiden Kriterien,
erfolgt die optimale Wachstumsgeschwindigkeit. Nicht zu fett und
nicht zu trocken muss der Boden sein, viel Sand und ein wenig Lehm.
Nicht zu viel Regen, dann besteht die Gefahr eines explosionsartigen
Wachstums und nicht zu viel Dürre, er ist nicht in der Lage,
sich dynamisch zu entwickeln. Dann erhalten wir die ausgewogene
Mischung zwischen Füll- und Strukturholz und nur darauf kommt
es an.
Die
Legende des Korsika Bruyere
Auch ein zweites Märchen berichtet von dem Einzigen unter den
anderen und der Qualität der Qualitäten: die Legende des
Korsika Bruyere. Nichts ist feiner gemasert, nichts ist weißer,
nichts hygroskopischer! Und schauen wir uns Werbung und Prospekte
an, muss ganz Korsika mit dem Abbau von Bruyere beschäftigt
sein, so dass sich hier wirklich die Frage aufdrängt: wann
sind denn nun die Bestände erschöpft? Mich beschäftigt
allerdings mehr die Frage, wer der schreibenden Zunft dieser selbsternannten
Experten war eigentlich schon mal auf Korsika und hat dort die "unendliche"
Zahl der Sägewerke besucht? Nebenbei bemerkt, existiert in
der Istzeit lediglich ein Sägewerk und Alleinimporteur seiner
Kanteln ist die Firma Refbjerg in Dänemark. Nicht, dass italienische
Coupeure auch von Zeit zu Zeit korsische Knollen verarbeiten. So
lässt dort Herr Montanaro, der, bevor er an den Armgelenken
erkrankte, ein Sägewerk betrieb, heutzutage Knollen graben
und verkauft dieses Rohmaterial an interessierte Werke.

Sicherlich
ist Korsika in den Anfangsjahren der Bruyerepfeife nach der Cote
Azur der wichtigste Lieferant gewesen. Vergessen wir nicht, der
Ursprung der Bruyerepfeife kommt aus Saint Claude im Französischen
Jura und Korsika gehört bekanntermaßen zu Frankreich.
Ein Teil der Wälder Korsikas unterliegen optimalen Wachstumsbedingungen,
allerdings genau so hervorragenden, wie viele andere Wälder
rings um das Mittelmeer. Natürlich wurde auf Korsika der gesamte
Erfahrungsschatz der Coupeure begründet, aber er wurde auch
von dort weitergegeben und zwar Richtung Osten, erst nach Italien
und Algerien,von den Italienern weiter an die Griechen nach Tunesien
und Marokko. Heutzutage arbeiten in Griechenland und Marokko nunmehr
die größten Bruyeresägewerke der Welt und decken
mehr als 75 % des Rohholzbedarfes im Standardsektor ab. die „Creme
de la Creme“ offeriert Italien. Korsika dagegen ist in die
Bedeutungslosigkeit versunken. Und bitte sich nicht von dem wunderbaren
Aufdruck auf den Jutesäcken täuschen zu lassen, wenn Made
in France drauf steht, heißt es im Regelfall, dass die Ware
von der Cote Azur stammt.
Der
Sinn des Märchens
Warum muss es eigentlich Korse sein, jeder in der Pfeifenbranche
weiß, dass auch andere Mütter schöne Töchter
haben und Topqualitäten überall zu finden sind, von Algerien
bis Griechenland. Aber das ist wieder die Welt der Märchen,
des Geheimnisumwitterten, wenn Legende sich mit Unwissenheit paart
und abschreiben doch so einfach und viel lukrativer ist.
Ich
will bestimmt nicht der Entzauberer sein, der den Illusionen der
Märchenwelt den faszinierenden
Charme entreißen will, um das triste Grau langgehüteter
Geheimnisse zu enthüllen. Jedoch, wenn Märchenwelten in
das Abseits führen und die Zuhörer im Dunkeln lassen und
sie sogar auf falsche Pfade locken, wird der Sinn des Märchens
zerstört. Mir jedoch ist das Märchen heilig, bietet es
doch in der zeitweiligen Trostlosigkeit des Alltags das lockende
Licht der Hoffnung.
zurück
|